entnommen
von Prof. Dr.-Ing. Klaus
Zellner (1999)
Fachbereich
Versorgungstechnik
ehemals
Gründungspräsident der FH-Trier
Anforderungen an junge Ingenieure - Anforderungen
an das Ingenieurstudium
Ingenieure müssen eine ausgewiesene Problemlösungskompetenz besitzen und dabei das Gesamtproblem
und nicht nur das ihr Fachgebiet betreffende Teilproblem im Auge haben.
Die Kompetenz und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird in hohem Maße durch
die Fähigkeit geprägt, für schwierige Aufgabenstellungen bei Kunden technisch
überzeugende und ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Lösungen zu entwickeln - möglichst im engen
Dialog mit den Kunden.
Die mit diesen Aufgaben verknüpften Anforderungen
an Ingenieure sind anspruchsvoll und äußerst vielfältig. Sie umfassen
·
fundierte Kenntnisse der ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen und Methoden (dazu gehören
auch die kompetente Auslegung von Konstruktionen und Prozessen sowie das
planvolle Vorgehen und das Projektmanagement),
·
die Fähigkeit, sich schnell
in ein neues Arbeitsgebiet einzuarbeiten
(incl. Analyse komplexer Zusammenhänge),
·
die Fähigkeit zur interdisziplinären
Zusammenarbeit (auch mit Externen wie Kunden und/oder Lieferanten, dabei
kommt einer zielorientierten, von hoher Kooperationsbereitschaft geprägten Teamarbeit
eine Schlüsselrolle zu),
·
ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft
und Dialogfähigkeit,
·
eine klare Ausdrucksweise mündlich (rhetorische Kompetenz) und schriftlich (u.a. die Fähigkeit zur präzisen
und knappen Beschreibung von Besprechungsergebnissen sowie Erstellen von klar
gegliederten, übersichtlichen und kurzen Sachstandsberichten für Vorgesetzte,
wobei oft überzeugende Argumente für eigene Ideen oder Lösungsvorschläge von
großer Bedeutung sind),
·
Methoden zur kontinuierlichen, übersichtlichen Dokumentation
der Arbeitsergebnisse,
·
Methoden und Techniken der Präsentation (innerhalb und außerhalb des Unternehmens),
·
ein gutes Zeitmanagement
(auch rechtzeitiges Einholen von Rat und/oder Hilfe),
·
eine effiziente Organisation
der Arbeit/der Arbeitsabläufe (der eigenen und die der Gruppe),
·
Know-how in der Informationsbeschaffung
und –dokumentation, incl. der Weitergabe von interessanten Informationen
an betroffene Stellen (dabei auch offene Augen und Ohren für alle Belange, die
das Unternehmen betreffen könnten),
·
ein ausgeprägtes Kosten-
und Leistungsbewusstsein,
·
eine klare Kundenorientierung
und
·
natürlich Fremdsprachen
und Sensibilität für fremde Kulturen.
Während fundierte Kenntnisse der
ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen und die Fähigkeit, sich schnell in ein
neues Arbeitsgebiet einzuarbeiten, im Studium vermittelt werden, gehören die
weiteren Punkte nur zum Teil oder überhaupt nicht zu den Ausbildungsinhalten im
Ingenieurstudium einer FH. Ein Grund hierfür ist wohl, dass in der
Vergangenheit die mit den weiteren Anforderungen verknüpften Kenntnisse und
Fertigkeiten in erster Linie in den Unternehmen in einer längeren
Einarbeitungsphase vermittelt wurden. Meine Erfahrung in der Fortbildung in der
beruflichen Praxis verbunden mit einer Reflexion früherer Erfahrungen in der
Wirtschaft vor meinem Wechsel an die Fachhochschule zeigen jedoch, dass in
den Unternehmen wenig Zeit bleibt für die Anleitung junger Kollegen und dass
auch manche Methoden und Abläufe in den Unternehmen reformbedürftig sind. Der
Wissenstransfer von der Hochschule in die Unternehmen über die Absolventen muss
also nicht nur neues Wissen, sondern auch neue Methoden und Denkweisen umfassen.
Die Entwicklung einer ausgeprägten Fähigkeit zur interdisziplinären
Zusammenarbeit und eines Denkens in Systemen wird durch die heute noch immer
weit verbreitete monodisziplinär ausgerichtete Hochschulausbildung unnötig
erschwert. Die Praxis braucht den kompetenten Fachmann, der sein Know-how
in ein Gesamtsystem (z.B. ein
Projekt) einbringt und sich gemeinsam mit den anderen involvierten Disziplinen
um eine umfassende Gesamtlösung
bemüht. An die damit verbundene Teamarbeit
sollten die Studierenden vom ersten Semester an herangeführt werden, und sie
sollten sich im gesamten Studium über möglichst viele eigene Erfahrungen mit
der Teamarbeit weiterentwickeln können.
Ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft und
Dialogfähigkeit ist unter den heutigen Arbeitsbedingungen
(hoher Termin- und Kosten- sowie Leistungsdruck) in den Unternehmen kaum zu
entwickeln, wenn nicht mindestens gute Voraussetzungen mitgebracht werden.
Eine klare mündliche und schriftliche
Ausdrucksweise bringt ein großer Teil der Studienanfänger in den
Ingenieurdisziplinen nicht mit. Diese Fertigkeiten sollten sich junge Ingenieure
nicht erst im Unternehmen aneignen müssen.
Es ist auch weniger erfolgversprechend, erst im
Unternehmen das Erstellen von knappen aber aussagekräftigen Berichten und die
übersichtliche Dokumentation der Arbeitsergebnisse zu erlernen.
Werden Zeitmanagement
und eine effiziente Organisation der Arbeit nicht bereits an der Hochschule
vermittelt, so besteht die Gefahr, dass sich so mancher Student
“erfolgreich” durch das Studium wurstelt und sich danach schwer tut, sich
ein Zeitmanagement anzugewöhnen und sich um eine effiziente Organisation
seiner Arbeit und die seiner Gruppe zu bemühen.
Die Informationsbeschaffung, -auswertung und
-weitergabe gewinnt mit dem enormen Anwachsen der weltweit verfügbaren
Informationen immer größere Bedeutung. In diesem Bereich haben die meisten
Firmen noch große Defizite. Hier sind die Absolventen besonders gefordert,
spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten von der Hochschule in die Unternehmen zu
transferieren.
Ingenieure brauchen bei ihrer Arbeit auch ein ausgeprägtes
Kosten- und Leistungsbewusstsein
für ihren Verantwortungsbereich (Tätigkeit selbst, entwickelte Produkte
und Verfahren, betriebene Anlagen). In der Regel reicht “Technikverliebtheit”
allein bei weitem nicht aus, um mit neuen Produkten und Verfahren im Markt Erfolg zu haben. Wichtig ist auch eine kontinuierliche enge Kooperation zwischen technischen und kaufmännischen
Abteilungen. Dafür ist gegenseitiges
Verständnis unverzichtbar.
In vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft
klaffen die offenkundige Notwendigkeit einer ausgeprägten Kundenorientierung und die Realität in der Praxis weit auseinander.
Aus der Alltagserfahrung in Deutschland kennen unsere Studierenden meist nur
einen geringen Stellenwert der Kundenorientierung und könnten so den Eindruck
gewinnen, dass es doch nicht die Kunden sind, die letztendlich die Gehälter in
den Unternehmen zahlen und die Arbeitsplätze sichern. Auch im
„Dienstleistungsunternehmen“ Hochschule lernen die Studierenden vielfach nur
die traditionelle Verwaltungsmentalität einer nachgeordneten Landesbehörde
kennen. Vor dem Hintergrund dieser Defizite sollte das vielschichtige Thema
Kundenorientierung im Ingenieurstudium behandelt und in dafür geeignete
Lehrveranstaltungen integriert werden.
Die Beherrschung von Fremdsprachen und eine
Sensibilität für fremde Kulturen bringen eine Reihe von Studienanfängern
durchaus mit. Werden diese Fähigkeiten im Studium nicht intensiv genutzt, so
besteht die Gefahr, dass sie wieder verkümmern. Sind diese Fähigkeiten nicht
vorhanden oder nur schwach ausgeprägt, so ist die Hochschule gefordert, über
entsprechende Angebote diese Defizite auszugleichen.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Anforderungen an junge Ingenieure erheblich zugenommen haben und
damit auch das Spektrum der
Ausbildungsinhalte eines Ingenieurstudiums weiter greifen muss
als bisher. Damit steht eine Hochschule natürlich auch vor der Frage, wie höhere
Anforderungen an ein Studium von möglichst vielen Studierenden in der
Regelstudienzeit mit mindestens gutem Ergebnis bewältigt werden können. Als Lösung
dieses Problems bietet sich aus meiner Sicht eine Umstrukturierung des
Studiums an.
Ein weiteres Argument für Änderungen in der
Studienstruktur ist die zunehmende Erfordernis an lebenslangem Lernen (vor allem
im Sinne der beruflichen Weiterentwicklung) in einer Arbeitswelt, die von
hoher Mobilität und einer Abnahme der Arbeitsstellen in abhängiger Beschäftigung
geprägt sein wird. Für dieses lebenslange Lernen werden die Bereiche Information
und Kommunikation sowie effizientes selbstgesteuertes Lernen - auch unter
Einsatz moderner interaktiver Lernsoftware - eine große Bedeutung erlangen.
Aus meiner Sicht könnte das selbstgesteuerte Lernen - möglichst in Teams und
natürlich mit kompetenter Betreuung - der Schlüssel dafür sein, unsere
Studierenden auf die genannten Anforderungen an junge Ingenieure weit besser als
bisher vorzubereiten, da diese Lernform bessere und nachhaltigere Lernergebnisse
bringt und darüber hinaus Kommunikation, Informationsmanagement, Erstellen
knapper, aussagekräftiger Berichte, Zeitmanagement und Arbeitsorganisation in
den Lernprozess integriert sind.
In dieser Kombination aus verbesserten Lehr- und
Lernprozessen beim Fachwissen (Methoden, Fakten) und dem in das Fachstudium
(Lehrveranstaltungen, Selbststudium) integrierten Erwerb von übergeordneten
Fertigkeiten liegt aus meiner Sicht eine große Chance, die
Ingenieurstudentinnen und –studenten in der Regelstudienzeit auf die
anspruchsvollen und vielfältigen Aufgaben in der Praxis sehr gut vorzubereiten.